Lehrer und Schule in der DDR. Ein Lesetipp

mietznerIn ihrer Dissertation von 1993 rekonstruiert die Bildungshistorikerin Prof. Dr. Ulrike Mietzner die Geschichte einer Schule in Mecklenburg von 1945 bis zum Mauerbau 1961, vom Gymnasium zur sozialistischen Oberschule:

Enteignung der Subjekte – Lehrer und Schule in der DDR, Opladen: Leske und Budrich 1998, (Amazon)

 

Ganz konkret kann man anhand von Schulakten, Berichten der Schulaufsicht, Direktiven der Partei und Interviews nachvollziehen, wie der Aufbau des Sozialismus im Schulwesen aussah: Die Maßregelung oder Entlassung der gymnasial oder reformpädagogisch orientierten Lehrer. Der totale Zugriff der Kommunisten auf Lehrer und Schüler, die politisch-ideologische Indoktrination im Unterricht, im Schulleben, bis zu rigide durchgeplanten „antifaschistisch-demokratischen“ Schulfeiern, das Aufspüren von „feindlich gesinnten“ Schülern und Lehrern.

Sehr konkret und anschaulich wird das Buch durch die Zeitzeugen-Interviews. Man kann erkennen, wer im Nachhinein nachdenklich geworden ist, wer sich partout nicht mehr an seine damalige Handlungsweise erinnern will, wer bis heute Hardliner geblieben ist und alles zur Reaktion auf die Machenschaften des bösen Westens schiebt.

Lehrer wurden bespitzelt und verhöhnt, man hatte Angst vor Denunziation. „Wir liefen jedes Mal ans Fenster, wenn draußen ein Auto vorfuhr“, erinnert sich eine Lehrerin.

Man sollte annehmen, dass dieses Buch im brandenburgischen Verbundkatalog, nicht zuletzt in der Stadt- und Landesbibliothek im Wissenszentrum Potsdam auffindbar ist. Fehlanzeige! Immerhin ist es in der UB in Potsdam ausleihbar. Ein Exemplar reicht wohl für die (von mir geschätzt) 4.000 Lehramtsstudierenden.

Wir müssen uns heute belehren lassen, wie gut die DDR-Schule gewesen sein soll und hören vom Mythos des Vorbilds DDR-Schule für Finnland. Kritische Darstellungen werden abgewehrt. Bei der DDR-Aufarbeitung ginge es vor allem um Repression belehren uns Potsdamer Historiker. Potsdamer Politologen warnen vor einer Überwältigung durch Zeitzeugen in Gedenkstätten und im Unterricht.

Dann gibt es heute noch die kritisch-linken Geister, die von der Anfangszeit der SED-Diktatur schwärmen, wo man noch mit Begeisterung den Weg zum Sozialismus gepflastert hätte und es besser machen wollte als die Nationalsozialisten.

Eigentlich müsste das Buch Pflichtlektüre für Brandenburger Lehrer und Bildungspolitiker sein.

Ergänzend siehe auch Freya Klier, Lüg Vaterland

Dagegen der Unsinn, den der sonst so kritische Götz Aly über die Wärme und Geborgenheit schreibt, die die DDR-Schule den Kindern gegeben hätte; ganz anders als die westdeutschen Schulen der Adenauerzeit. (Vielleicht ist es auch Satire und ich habe es nicht gemerkt.)

Es handelt sich im Buch von Frau Prof. Mietzner übrigens um die Schule, die Uwe Johnson besuchte.

Einige Zitate und Stichworte daraus:

Statt der (reformpädagogischen) Arbeitsschule wurde die Leistungsschule eingeführt: „Wenn der Klassenverband ständig in Gruppen aufgelöst wird oder im Unterrichtsprozess einzelne Gruppen mit unterschiedlichen Zielen und Aufgaben arbeiten, führt das zur Auflösung und Zersplitterung des Klassenverbandes im Sinne des Gruppenunterrichts der bürgerlichen Reformpädagogik, zur Negierung der führenden Rolle des Lehrers und hat eine Senkung des Bildungs- und Erziehungsniveaus unserer Schule zur Folge.“ (S. 283)

„Wir müssen alle Erziehungs- und Bildungsmöglichkeiten ausnutzen, um die Menschen zu schaffen, die in der Lage sind, die gesellschaftlichen Zusammenhänge klar zu erkennen und zu begreifen, und die Entwicklung bewusst vorantreiben helfen. diese neuen Menschen zu formen, muss beim Kinde beginnen.“ (Protokoll der Landestagung der sozialistischen Lehrer und Erzieher Mecklenburgs 1949; S. 111 im Buch)

Der Schulleiter wurde auf der Kreislehrerkonferenz ermahnt, mit der FdJ-Gruppe zu beraten, wie die Mitglieder der (christlichen; GS) Jungen Gemeinde voll auszuschalten sind. (S. 200)

Eine Interviewpartnerin erinnert sich: Der Hauswirt habe gesagt: „Immer, wenn Sie weg sind, kommen Leute und gehen in ihre Wohnung.“ Man sorgte sich, wenn der Ehemann nicht zur gewohnten Zeit nach Hause kam. Es gab eine Flucht in den Witz, aber man schaute sich vorher um. (S. 271ff)

 

4 Kommentare zu „Lehrer und Schule in der DDR. Ein Lesetipp

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