Zwangskollektivierung: Bauern in Großfarmen

„Wir waren besser als die LPG“

Aus: Märkische Oderzeitung vom 23.04.2010

War die Zwangskollektivierung in der DDR-Landwirtschaft ein notwendiges Übel, um die Wirtschaft in Schwung zu bringen oder ein durch nichts zu rechtfertigendes Verbrechen? 50 Jahre nach dem „sozialistischen Frühling“ wird diese Frage am Wochenende in Kyritz heiß diskutiert.

Mehr als zwei Meter hoch ist der Findling aus dem Harzvorland, der am Sonntag im nordwestbranden­burgischen Kyritz seiner Bestimmung als Denkmal übergeben wird. „Den Opfern der Zwangskollektivie­rung im so genannten sozialistischen Frühling 1960 in der DDR“ lautet der Text auf einer dazu gehören­den Bronzeplatte. Die Initiative für das Denkmal geht vom Deutschen Bauernbund aus – am Ort, an dem alles anfing.

Denn im Gasthof „Zum Prignitzer“ verkündete der damalige KPD-Chef Wilhelm Pieck am 2. September 1945 die Bodenreform. „Junkerland in Bauernhand“ lautete das Motto. Innerhalb eines Jahres wurden Kriegsverbrecher, aktive NSDAP-Mitglieder sowie Großgrundbesitzer mit mehr als 100 Hektar Land entschädigungslos enteignet – und die Flächen an Bauern übergeben. Eine politische Entscheidung der neuen Machthaber im Osten, die sich in der Rückschau allerdings nur als vorbereitender Schritt zur späteren Kollektivierung herausstellte. Das offizielle Ziel war die Hebung der landwirtschaftlichen Produktivität.

Ein Denkmal Pro Bodenreform gibt es bereits in Kyritz. Erstmals in Deutschland möchte dem der Bauernbund als Vertretung der kleinen, familiär geprägten Agrarbetriebe etwas entgegensetzen. Um die Junker sei es damals nicht schade gewesen, räumt Reinhard Jung ein, Geschäftsführer des Bauern­bunds Brandenburg. „Aber dass mit der Bodenreform jede Familie, die mehr als 100 Hektar hatte, alles verlor, war schweres Unrecht.“ Und es sei ökonomisch ein großer Fehler gewesen, weil damit in den schwierigen Nachkriegsjahren Expertenwissen fehlte. Insgesamt wurden in der Sowjetischen Besat­zungszone fast 12 000 Agrarbetriebe enteignet.

Doch das eigentliche Drama habe sich 15 Jahre nach Kriegsende abgespielt. „Im Jahre 1960 wurden innerhalb weniger Monate etwa 400.000 bis dahin selbstständige Bauern mit Gewalt und Psychoterror gezwungen, ihr Eigentum in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften einzubringen“, sagt Jung. Viele Landwirte hätten sich dem durch Selbstmord oder Flucht in den Westen entzogen.

Horst Gauert aus Werneuchen, Jahrgang 1932, hat die Zwangskollektivierung am eigenen Leib erfahren. „Eine harte Zeit war das. Uns schlug der Hass entgegen“, sagt Gauert. Er bewirtschaftete mit seinem Vater 19 Hektar Land. Ab 1957 habe der Druck, sich den Landwirtschaftlichen Produktions­genossenschaften (LPG) anzuschließen, deutlich zugenommen. „Alle paar Tage kamen die Erfasser auf den Hof und haben uns von der Arbeit abgehalten. Wir wurden verleumdet. Es herrschte Fleischknapp­heit. Da hat man die Städter gegen uns Bauern aufgehetzt, wir seien alles Schieber.“

Dabei habe er den Ministerratsbeschluss ernst genommen und bei sich den Bestand an Schweinen von zwei auf acht erhöht. „Wir waren besser als die LPG“, ist Gauert überzeugt. Eine Einschätzung, die auch von Historikern wie Jens Schöne geteilt wird, der in seinem Buch „Frühling auf dem Lande?“ über die Zeit unmittelbar nach Abschluss der Kollektivie­rung schreibt: „Die zahlreichen Negativerscheinungen fanden ihren deutlichsten Ausdruck in einem abermals spürbaren Rückgang der Hektarerträge bei wichtigen Kulturen wie Kartoffeln und Mais sowie auch in der tierischen Produktion.“ Erst ab Mitte der 60er Jahre habe sich die Lage normalisiert, sagt Schöne.

Horst Gauert kapitulierte als einer der Letzten erst im Jahre 1961. „Wir haben nicht mehr geschlafen, hatten Angst, eingesperrt zu werden.“ Privatbetriebe mussten zudem häufig ein höheres Soll abliefern und wurden bei der Maschinenausleihe benachteiligt.

Ein Jahr hat es Gauert daraufhin in der LPG ausgehalten. „Ich wollte die Abläufe im Betrieb verbessern, aber das war nicht erwünscht. Da war für mich das Maß voll.“ Längere Zeit be­kam er danach regel­mäßig Besuch von der Staatssicherheit. 1966 gründete er ein Fuhr­unter­nehmen. Landwirtschaft betreibt der 78-Jährige erst seit der Wende wieder – mit seinem Sohn auf 120 Hektar.

Sein Fazit: „In der DDR ging es nicht darum, etwas aufzubauen, sondern zu zerstören, Eigentum kaputt zu machen.“ Das sieht Kirsten Tackmann, Agrarexpertin der Linken im Bundestag, ganz anders: „Es gab gute und schlechte LPGen, genauso wie es gute und schlechte Familienbetriebe gibt.“ Sie wehre sich gegen eine einseitige Sicht auf die damaligen Strukturveränderungen, sagt die Politikerin. Auch wolle sie kleine und große Betriebe nicht gegeneinander ausspielen. Man sehe heute sehr deutlich, dass Genossenschaften Vorteile bringen. Deshalb lehne sie auch das neue Kyritzer Denkmal ab. „Dahinter steckt das Ziel, die erfolgreichen, vielfach heute noch im Osten bestehenden Strukturen anzu­greifen“, unterstellt sie.

Zur Verteidigung der Genossenschaften fährt neben Kirsten Tackmann am Wochenende auch Branden­burgs Bauernverbandspräsident Udo Folgart (SPD) nach Kyritz. Denn anlässlich der Denkmaleinwei­hung mit Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) und Brandenburgs Stasi-Beauf­tragter Ulrike Poppe hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung der Links­partei zu einer Gegenveranstaltung eingeladen – „aus Anlass des 50. Jahres­tages des Ab­schlus­ses der Genossenschaftsbildung“.

Den Begriff Zwangskollektivierung lehnt Kirsten Tackmann ab. „Es hat damals zweifellos Übergriffe und schweres Unrecht gegeben. Aber viele sind auch freiwillig gegan­gen“, sagt sie. „Und waren glücklich in der LPG.“ Das bestreitet auch Reinhard Jung nicht: „Was sollten die Bauern machen? Die Grenzen waren zu. Sie mussten sich arrangieren.“

Pocht auf seine Selbstständigkeit: Horst Gauert betreibt Landwirtschaft erst wieder seit der Wende. In der LPG hat er es seinerzeit nicht lange ausgehalten.

Quelle: Märkische Oderzeitung

Sehr lesenswert: Jens Schöne, Mauerbau und ländliche Gesellschaft der DDR, in: Horch und Guck 76, Umwelt in der DDR, S. 56ff

Nachtrag: Der Slogan unter dem sich die „demokratische Bodenreform“ vollzog: „Rottet dieses Unkraut aus!“

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