G 20 und die Macht der Medien

Aus dem offenen Brief des Geschichtswissenschaftlers Gerhard Paul an die Chefredaktion des NDR:

Mich hat die Berichterstattung Ihres Senders zum G20-Treffen sehr befremdet, zum Teil sogar abgestoßen. Ebenso befremdlich fand ich es, dass es in den Debatten im Gefolge des Gipfels praktisch keine medienkritische (Selbst-)Beschäftigung mit der Berichterstattung gab.

Wir wissen seit langem, dass Bilder – egal ob die stillen Fotografien der Presse oder die bewegten Bilder des Fernsehens – nie nur neutral informieren, sondern zugleich immer auch emotionalisieren und oft sogar erst mediale Realitäten erzeugen, auf die dann reagiert wird. Das war auch in Hamburg nicht anders. Nicht nur den Mächtigen dieser Welt – allen voran aus innenpolitischen Erwägungen des Vorwahlkampfes der Bundeskanzlerin und dem Hamburger Ersten Bürgermeister – ging es um schöne und zugleich symbolische Bilder eines friedlichen Dialogs. Auch die angereisten Krawallmacher wollten Bilder: Bilder des Dissenses, der Zerstörung und der Gewalt. Weil auch die anderen Protestler der unterschiedlichen Couleur kaum eine Chance sahen, Einfluss auf die als Unrecht beklagten Verhältnisse der Weltpolitik zu nehmen, haben auch sie – wie Wolfgang Kraushaar in der heutigen Ausgabe von Welt am Sonntag zu Recht vermutet[1] – auf möglichst extreme Bilder körperlicher Gewalt gesetzt, um zumindest symbolisch Einspruch zu erheben. An der Seite der Gewalttäter – das müssen wir heute konstatieren – haben sie ihr Ziel erreicht! Nicht die Bilder des eigentlichen Gipfels bestimmten die Berichterstattung in den nachfolgenden Tagen und damit langfristig die Erinnerung, sondern die Bilder der Chaoten und Autonomen aus Altona, St. Pauli und dem Schanzenviertel: Bilder von marodierenden Vermummten, von brennenden Autos und Barrikaden, von geplünderten Geschäften, von zersplitterten Schaufenstern usf.

Dass diese Bilder überwogen, daran haben im Wesentlichen die Bilder der Fernsehmedien und hier wiederum vor allem die des NDR mit seiner Tagesschau und seinen Sondersendungen ihren Anteil, die die öffentlich-rechtliche Berichterstattung dominierten. […] Viel gravierender erscheint mir, dass der NDR den Gewalttätern erst die Bilder – und übrigens vielfach auch die Informationen – lieferte, weshalb diese angereist waren.

…, dass ohne die Anwesenheit gerade der Bildmedien die Situation deutlich weniger gewalttätig und eskalierend abgelaufen wäre.“

Gerhard Paul, G20-Treffen als Bilderkrieg? Ein „Offener Brief“ von Gerhard Paul – und die Stellungnahme des NDR, in: Visual History, 12.9.2017, http://www.visual-history.de/2017/09/12/g20-treffen-als-bilderkrieg/

Freundlicherweise hat der Chefredakteur des NDR geantwortet. Kurzfassung: Selbstverständlich hat der NDR alles richtig gemacht (siehe untere Hälfte des obigen Links)

Nachtrag: Oh je, mein Auszug war zu lang! Ich danke dem ZZF, dass sie das Zitat nachträglich genehmigen.

Von Prof. Gerhard Paul gibt es außerdem eine spannende, aber ziemlich lange Analyse der Porträts von Mao Zedong.

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