„Hexenjagd“ bei den Bad Hersfelder Festspielen

Wenn der Dieb „Haltet den Dieb!“ ruft, hat er meist Erfolg. Davon bekam ich gerade wieder einmal eine Ahnung.

Wie seit über einem Jahrzehnt stand jetzt ein Besuch der Festspiele in Bad Hersfeld an. Eine Aufführung in der Stiftsruine unter offenem nächtlichen Himmel ist immer wieder beeindruckend. Vor allem dann, wenn es dem Regisseur gelingt, die großartige Kulisse in die Inszenierung einzubeziehen.

Bei „Hexenjagd“ von Arthur Miller gelang das dem Regisseur Dieter Wedel nicht. Die meiste Zeit stand eine Art Puppenhaus auf der Bühne und versperrte den Blick in die Tiefe der Basilika. Dass Wedel vom Fernsehen kommt, war nicht zu übersehen, denn auf einer seitlichen Großleinwand gab es Einspielfilme, in denen das Bühnengeschehen kommentiert und – manchmal redundant – ergänzt wurde. Für den Zuschauer war das dann wie bei einem Tennismatch; wobei bisweilen sogar an drei Stellen auf der Bühne etwas passierte.

Millers Stück basiert auf einer Hexenjagd, die in Neu-England Ende des 17. Jahrhunderts in einer Gemeinde in Massachusetts wirklich stattgefunden haben soll und zu Dutzenden von Hinrichtungen führte. Eher harmlose Vorkommnisse führten zu hysterischen Reaktionen, zuletzt zu einer Hinrichtungsorgie. Immer mehr Menschen wurden der Hexerei beschuldigt. Dabei sind, ganz wie in der Zeit der Hexenverfolgung in Europa, materielle Interessen, Neid, Sexualität und krankhafte Religiosität die Ursachen und nicht etwa Aktivitäten des Teufels und die Abwesenheit Gottes. (Wedel lässt es sich nicht nehmen, den Tod durch den Strang auf der Bühne zu zeigen.)

Millers Stück, das, wie das zugrunde liegende Geschehen, im 17. Jahrhundert spielt, soll angeblich ein Kommentar zu McCarthys Kommunistenjagd Anfang der 50er in den USA gewesen sein. (Wedel siedelt es in den 1930er Jahren an.)

Worauf er mit dem Stück anspielt, macht Miller an anderer Stelle sehr deutlich. Senator McCarthy  ist es nicht: Während ich dies schreibe, hat nur England sich vor den Versuchungen eines zeitgenössischen Teufelskults bewahrt. In den Ländern der kommunistischen Ideologie schreibt man jeden Widerstand von einiger Bedeutung dem vollkommen bösen kapitalistischen Alb zu, und in Amerika muß sich jeder Nicht-Reaktionär als Verbündeter der Roten Hölle verdächtigen lassen. So wird die politische Opposition unmenschlich überbewertet, weshalb man dann alle normal üblichen, zivilisierten Umgangsformen abschaffen darf.  (Zit. nach: „Vom Teufel gejagt“, in: Der Spiegel 8/1954, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-28955199.html)

Gewiss lassen sich Dutzende Stücke finden, die seit mehreren Jahrtausenden vom selben handeln: Wie Gewinnsucht, Missgunst, Sexualität, Religiosität und Obrigkeitsdenken in einer Hinrichtungsorgie enden.

Es war ein geschickter Schachzug, dass Kommunisten zur Stelle waren, um das 1952 geschriebene Stück 1957 zu verfilmen. Die DEFA bekam  das Drehbuch von Jean-Paul Sartre und aus der französischen kommunistischen Kulturschickeria spielten Yves Montand und Simone Signoret mit. (Ähnlich war es bei „Z“, ebenfalls unter Mitwirkung linker europäischer Kulturschaffender. Da ging es um den Mord der griechischen Militärjunta an einem kommunistischen Oppositionellen. Im Hintergrund gab es die USA, die nicht frei von Schuld wären.) So wurde Antikommunismus, für den es durchaus Gründe gibt, mit Hexenjagd gleichgesetzt.

Ist es ein Wunder, dass die Rezensent*innen der Presse, auf der Suche nach aktuellen politischen Anspielungen, die sie zumal von Wedel erwarten, wie selbstverständlich bei Pegida landen? (Einwohner der Stadt zeigen bei einer Demonstration Transparente.) Das ist immerhin noch harmlos, wenn man liest, was Theaterkritiker bei anderen Aufführungen an Parallelen zu Marine Le Pen, Donald Trump und Roger Köppel zu finden glauben. (nachtkritik.de v. 20.1. 2016)

Was mich (eigentlich: nicht) wundert:

Vor genau fünfzig Jahren entfesselte Mao Zedong die Kulturrevolution, in der Tausende auf Grund falscher Anschuldigungen ermordet wurden. Insgesamt gab es, so wird geschätzt, starben mehr als zwei Millionen Tote. Es gab Neid und Bereicherung und Herrschsucht, alles unter dem Deckmantel revolutionärer Gesinnung.

In jedem kommunistischen Staat gab es Schauprozesse, in denen durch endlose Verhöre Schuldgeständnisse erzwungen wurden, die jeglicher sachlichen Grundlage entbehrten, sondern ideologischem Wahn entsprangen.

Die DDR, in der es die Verfolgung Andersdenkender vierzig Jahre lang gab, lag quasi neben Bad Hersfeld.

Aber wer weiß das noch?

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