Alte Liebe rostet nicht (2): Die ostdeutschen Putin-Versteher/-innen

Wer geglaubt hat, nach fast 25 Jahren wäre zusammengewachsen, was zusammengehört, wird enttäuscht sein. Die Annexion der Krim zeigt, dass in der DDR sozialisierte Ostdeutsche mehr Verständnis für Putins Traum von der Wiederherstellung des imperialen Russlands haben als die Mehrheit der Westdeutschen. Dort sind es vor allem Wirtschaftsinteressen, die dafür sorgen, mit Putin zu verhandeln, statt ihm rote Linien aufzuzeigen.

Seit Tagen beherrschen die Putinversteher/-innen die hiesigen Leserbriefspalten. Frau Kipping schlägt Volten, um Wagenknechts und Gysis Faschismusvorwürfe an Kiew als Linkspluralismus auszugeben. Es gäbe auch Stimmen in der Partei, die über den Einmarsch russischer Soldaten in der Krim nicht glücklich seien. Im übrigen, das vergisst Frau Kipping nicht hinzuzufügen: die USA und Israel und Merkel und Steinmeier(?) und die CIA… Passenderweise hat das russische Staatsfernsehen gerade ein gefälschtes Dokument veröffentlicht, in dem einem Dissidenten Kontakte zu US-Diplomaten kurz vor dem „Putsch“ in Kiew „bewiesen“ werden. (Bemerkenswert, dass es der beliebte Nationalist Navalny ist, der mit den Ausländern in den Großstädten aufräumen will. Es gibt Auguren, die voraussagen, dass rechts von Putin eine ultra-nationalistische Bewegung heranwächst.

Die Linkspartei und Ex-MP-Platzeck aus Brandenburg wollen eine Untersuchung der tödlichen Schüsse auf dem Maidan. Sie hoffen wohl darauf, dass die Gerüchte stimmen, dass Aufständische auf Aufständische geschossen hätten. Andere Narrative besagen, dass russische Touristenbusse die Killer ins Land gebracht hätten und die hätten als Unruhestifter sowohl auf Aufständische als auch auf die Janukowitsch-Schläger geschossen. Natürlich klingt das bei Platzeck staatsmännischer und ausgewogener als bei den Postkommunisten. Er warnt den Westen und Putin vor einer Eskalation. Aber die Russlandversteher eint das alte Blockdenken: Der böse Westen (USA. Israel und der Kapitalismus) gegen das gedemütigte Russland (eingekreist von der NATO, nicht geliebt von den ehemaligen Bruderstaaten, nicht in Augenhöhe als Partner des Westens behandelt).

Dass Russland nicht der Staat geworden ist, den der Westen erwartet hat – marktwirtschaftlich, Menschenrechte achtend, Partner unter Gleichen -, sondern zurück zur alten Größe der UdSSR strebt, kein Interesse an einer Vergangenheitsaufarbeitung hat, Regierungskritiker einsperrt und die Meinungsfreiheit abschafft, seine Rohstofflieferungen als Repressionsmittel einsetzt, das alles wird in Ostdeutschland als weniger schlimm empfunden, es findet kaum Erwähnung. Neutralisierung hatte Stalin schon vor 60 Jahren als Bedingung für eine Vereinigung der beiden Staaten vorgeschlagen. (Nachtrag: Im deutschen Osten gibt es eine Zweidrittelmehrheit für Äquidistanz zum Westen und zu Russland. Siehe auch hier!)

Update 28.3.14: Die Osteuropaexpertin Alice Schwarzer hat sich zu Wort gemeldet, auch Exkanzler Helmut Schmidt, Erhard Eppler und Herr Todenhöfer. Für Zeit-Feuilletonchef Jens Jessen sind gar die Deutschen an ukrainischen Unabhängigkeitsträumen schuld. Das kommt davon, wenn in Sachen Ukraine halbgebildete Journalisten drauflos schreiben, bevor sie sich kundig machen.

Die ältere Generation kann sich halt nicht daran erinnern, dass es einen Staat Ukraine gab, als man damals in die UdSSR einmarschierte und die Einsatzgruppe C 1941 in Abstimmung mit Wehrmacht und SS in der Nähe von Kiew – in der Schlucht von Babij Jar – über 30.000 Juden erschoss. (Nach sowjetischen Behördenangaben sollen es im gesamten Zeitraum der deutschen Besetzung 100.000 gewesen zu sein. Zehn Jahre zuvor hatten sowjetische Behörden 3-4 Millionen ukrainischer Bauern umgebracht oder verhungern lassen.)

Sehr lesenswert in diesem Zusammenhang: „Babji Jar“, der Roman von Alexander Anatoli (Kusnezow). Wegen der im Roman mehrfach erfolgten Gleichsetzung von Faschismus und Stalinismus wurde das Buch in der UdSSR nur in einer stark „gereinigten“ Ausgabe zugelassen. A. Anatoli suchte Asyl in England und veröffentlichte dort die vollständige Fassung des Buches. Es gibt seit 2003 den nahezu unbekannten deutsch-russischen Film „Babji Jar“ mit Michael Degen und Axel Milberg. Die sowjetischen Behörden vermieden jedes Gedenken der deutschen Verbrechen. Es gibt keine Gedenktafel. Die Schlucht wurde erst in einen künstlichen See verwandelt, in den 60ern wurde dann der See zugeschüttet und ein neuer Kiewer Stadtteil darauf gebaut.

Nachträge:

Der sonst so kritische und investigative Götz Aly ist durch seine 68er Sozialisation doch immer noch stark anti-amerikanisch geprägt und sucht erst einmal dort die Schuld und nicht bei Putin (17.3.).  Ende Juli, nach dem MH 17-Abschuss, ist er enttäuscht von Putin und gibt ihm ein wenig Mitschuld.
 Gernot Erler, (SPD), der Beauftragte der Bundesregierung für die deutsch-russischen Beziehungen, „warnt nun nicht etwa Russland, seine Politik des Bürgerkriegsexports fortzusetzen, sondern die Ukraine, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Putin, so Erler allen Ernstes, habe die russischsprachige Bevölkerung unter seinen Schutz genommen. Und wenn die Separatisten an den Rand einer Niederlage kämen, könne niemand ein direktes russisches Eingreifen über die Grenze hinweg ausschließen. Man kann sich eigentlich nicht vorstellen, dass die Bundesregierung Putin die Rechtfertigung eines offenen Krieges gegen die Ukraine durch ihren Beauftragten frei Haus liefern lässt“, so der Politikprofessor Wolfgang Seibel in der taz(!) vom 4.8. Seibel wirft der Bundesregierung vor, mit ihrer Deeskalationspolitik, die Regierung in Kiew zu destablisieren und Putin falsche Signale zu senden. (via Pflasterstrand)
Frank Pergande vermutet im FAZ-Leitartikel vom 26.11.14, dass hinter der in Ostdeutschland höher verbreiteten Sympathie für Putins Auftreten Antiamerikanismus stecke, Misstrauen und Ablehnung von Marktwirtschaft, die Angst vor den Zumutungen von Freiheit, Demokratie und Pluralismus.
Das Platzeck-Interview in der MAZ ist steht im Archiv.
Moritz Schuller erklärt im Tagesspiegel, warum Putin gerade in Deutschland auf viel Verständnis trifft.
Volker Zastrow in der FAS v. 13.4.
Heinrich August Winkler, Die Spuren schrecken,  Spiegel 16/2014
Timothy Snyder, Putins Projekt, FAZ v. 14.04.2014
Gazprom-TV präsentiert angeblichen deutschen Agenten (14.04.2014)
NATO-Osterweiterung?
Der geistesgeschichtliche Hintergrund für die deutsche Putin-Sympathie
Thomas Rietzschel in: AchGut 9.6.14

 

Update 26.12.2014: Aus einer Umfrage der Zeit:

„Während im Westen Deutschlands nur 12 Prozent der Befragten den Westen als Verursacher der Spannungen mit Russland sieht, ist es im Osten jeder Fünfte. Umgekehrt betrachten im Westen 42 Prozent und im Osten nur 30 Prozent Putin als Hauptschuldigen.

Auffallend sind zudem die Differenzen je nach Parteipräferenzen. So ist der Anteil derjenigen, die die Medien für einseitig und nicht objektiv halten, unter den Anhängern der Linken und der AfD mit jeweils 63 Prozent und der FDP mit 59 Prozent deutlich höher als bei den Anhängern von Union, SPD und Grünen.

Nachtrag 21.02.2019: Jedem seinen Putin, von Boris Reitschuster

5 Kommentare zu „Alte Liebe rostet nicht (2): Die ostdeutschen Putin-Versteher/-innen

  1. Sehr geehrte(r) xy,
    genau solche Kommentare wie ihrer:“Die ostdeutschen Putin-Versteher“,sind Schuld daran,dass viele Bürger in Ost und West ihre Position bezüglich der Ukraine-Krise überdacht haben und Putin nicht allein für schuldig halten.Wenn ich Sie richtig verstehe müssten,nach ihrer Logik,alle Deutschen gegen Russland sein und wir vereint mit der Nato Putin stürzen und Russland befreien.Falls ihnen nicht klar ist:Russland ist die zweitgrößte Millitärmacht,könnte im Ernstfall Europa vernichten und die halbe USA dazu,bevor das Land selber untergeht.Die Amerikaner haben die Kriege in Vietnam,Irak(nach einer Lüge ausgelöst)und in Afghanistan verloren.Es geht doch hier um Krieg oder Frieden.Warum sollen die Russen so werden wie wir,bezüglich der Demokratie?Warum sanktioniert man Russland und betreibt aber mit der chinesischen“Demokratie“ Welthandel und verschuldet sich sogar enorm (USA).Wenn ich zum Beispiel an den Titel einer ZDF-Talkshow denke :“Putin-Versteher oder Amerika-Freund?“,dann frage ich mich,ob die dortigen Redakteure noch alle Tassen im Schrank haben.Nach dieser“ Logik“,dürfte kein Amerikaner Putin verstehen,oder verstehen dürfen.Das Eine schließt doch das Andere nicht aus. Alle diplomatischen Verhandlungen wären doch sinnlos,wenn man von vornherein sein Gegenüber nicht verstehen möchte.In der Ukraine geht es doch in erster Linie um wirtschaftliche Interessen.Man tut hier, als hätte Putin,nach dem Zerfall der Sowjetunion,die Ukraine über zwanzig Jahre regiert,dass Land runter gewirtschaftet und sei nach Russland geflohen.Der jetzt gewählte Oligarch Poroschenko,war schon früher in der Regierung der Ukraine. Die Ukraine war schon vor dem 2.Weltkrieg gespalten und im Westteil des Landes gibt es leider bis heute Faschisten,die sogar an der Regierung beteiligt sind.Sie schreiben,Putin will ein Großrussland,woher haben sie diese Erkenntnis?Bei uns im Westen,stand doch der Russe immer vor jeder Tür,selbst in Friedenszeiten. Schon vergessen?Sie werfen Russland eine Annexion der Krim vor,leider wieder falsch.Lesen Sie den entsprechenden Artikel in der FAZ.Nun zu den Ostdeutschen. Auch wer keine Verwandten in DDR hatte,müsste besser über unsere Landsleute informiert sein.Sie haben das scheinbar nicht getan.Nach der Niederschlagung des Arbeiteraufstandes 1953 gab es einen Russenhass in Ostdeutschland,der durch den Mauerbau 1961 noch verstärkt wurde.Um die 80-90% der Menschen in der DDR sahen oft Westfernsehen, oder hörten die dortigen Radiosender und glaubten den politischen Nachrichten des Westens.Dann der kam der Vietnamkrieg der USA,der Sturz der gewählten Regierung in Chile u.s.w.Die Ossis dachten meistens,die Amerikaner wären im Recht.Dann kam Gorbatschow und die Sowjetunion sammelte Punkte bei den Ossis.Bürgerrechtler der DDR wandten sich an die Gorbi.Dann kam die Einheit und die amerikanischen Kriege gegen den Terrorismus und für die“ Freiheit“ gingen weiter.Die Alternative Putin-Versteher oder Putin-Hasser darf niemals wirtschaftlich fundiert sein,sondern muss darauf gerichtet sein den Frieden zu erhalten.Und nun muss ich ihnen etwas mitteilen,was uns Deusche insgesamt beschämen müsste.1941 haben wir, unter Hitler, die Sowjetunion überfallen,22-25 Millionen Tote(darunter unsere Soldaten)verschuldet und ein teilweise zerstörtes Land hinterlassen.Wer hat denn ,außer Willy Brandt, sich in unserem Lande jemals dafür interessiert?Russland war doch immer ein Zauberwort für die Gewinnmaximierung der Rüstungsindustrie.Und diese verbrecherischen Russen hassen uns immer noch nicht(Spaß).Hätte Stalin damals die Atombombe gehabt,er hätte sie auf Berlin geworfen.Die Menschen haben einfach Kriege satt und das Gelabere von Menschenrechten.Es geht nicht mehr um Menscherechte,sondern um Schürfrechte.Frieden gibt es nur mit und nicht gegen Russland,dass sagen über 90% der Menschen im Lande und diese Zahl ist mir wichtiger als alle anderen.

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    1. Sehr geehrter Herr Sophie Müller, die Sorgfalt Ihrer Anrede „geehrter xy“ entspricht der Qualität des Inhalts. Copy and paste ersetzt nicht immer den eigenen Kopf!
      Drushba!
      xy

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