Es ist nicht alles schlecht im Kapitalismus oder Tabuthemen der ostdeutschen Gesellschaft

Für mich ist die DDR auf dem Weg zur “Fußnote der deutschen Geschichte”, wie es Stefan Heym, der allerdings bedauernd, formuliert hat. Wenn man wie er im KaDeWe einkaufen und am Kudamm essen gehen konnte, lebte es sich in Ostberlin ja auch nicht schlecht. Das beeinträchtigt keineswegs meinen Respekt und meine Bewunderung für Menschen, die in der Diktatur mutig waren, die in der Bundesrepublik angekommen sind, die sich durchbeißen, Ideen realisieren und nicht nur die Schattenseiten des Kapitalismus bejammern.

Immer deutlicher sehe ich eine wesentliche Schwachstelle der DDR-„Aufarbeitung“ im Schweigen zu bestimmten Themen. Für die ostdeutsche Gesellschaft wird eine Homogenität vorgegaukelt, die es nie gab. Drei Beispiele dazu:

Eine Historikerin erzählt von einem Zeitzeugenprojekt: Mütter berichten der Forscherin, wie großartig die DDR-Schule gewesen wäre, wie solidarisch die Elternabende verliefen. Aber schon nach wenigen Minuten kommt Widerspruch: „Hast du vergessen, was passierte, als das und das angesprochen wurde?“

„Nein“, antwortet mir jemand, wenn ich nach der behaupteten hohen Qualität der sozialen Beziehungen frage, die besser als im heutigen “kalten” Kapitalismus gewesen wäre. „Klar hat man dem Nachbarn etwas mitgebracht, wenn gerade eine Mangelware zu haben war.“ Aber man war sich immer bewusst, dass sich die Kinder in der Schule verplappern konnten, dass die Stasi mit am Tisch saß. Wenn das “Nett-Miteinander” nachträglich so hoch gehängt wird, denkt man da auch an die „zuvorkommenden“ Kellner, die „hilfsbereiten“ Handwerker, die „höflichen“ Vopos, die „freundlichen“ Verkäuferinnen? Es bespitzelte der Vater den Sohn, die Ehefrau den Ehemann, der Bruder den Bruder.

In der DDR war Angst dein Partner, der zum Leben dazu gehörte. Vorsicht mit dem, was man sagte, war bei allen Gesprächen geboten. Vorsicht und Misstrauen als Sozialverhalten, das war eine lebensnotwendige Fähigkeit in meiner alten Heimat.”

(Evelyn Senarclens de Grancy, Feuer unter den Füßen, p. 284)

Beim Nachwendetreffen mit Freundinnen und Klassenkameradinnen erzählt eine mit Zuchthaus bestrafte Ausreiseantragstellerin ihre Geschichte lieber nicht, wenn es heißt: „Ja, wir Ostfrauen halten zusammen.“ Da könnten die Zuchthausstory und traumatische Erfahrungen den Austausch angenehmer Erinnerungen stören.

Dass das Projekt der Überleitung der MfS-Mitarbeiter in die Marktwirtschaft, das Mielke im Oktober 1989 anstieß, im wesentlichen erfolgreich war, auch darüber redet man nicht. Die Mär vom bescheidenen Leben der Nomenklatura in Wandlitz feiert fröhliche Urstände, auch Bärbel Bohley tradiert sie. Dass die Nomenklatura damals wie heute bestens versorgt ist, fällt nur den SED-Opfern auf. Während die DDR-Zulage für “Opfer des Faschismus” von 700 € (dynamisiert!) weiter ausgezahlt wird, sogar an Honecker nach Chile überwiesen wurde, wird bei den SED-Opfern mit spitzem Bleistift gerechnet und nur bei wirtschaftlicher Bedürftigkeit gezahlt. Ehemalige SED-Minister und Stasispitzel erhalten, sofern sie der Regierung de Maizière angehörten eine “Ehrenpension” von bis zu 850€. Ihre eigenen Renten haben die SED-Leute nach der Wende längst nach oben korrigiert.

Der letzte SED-Vorsitzende ist Liebling der Talkshows und gibt die Themen vor: Nicht das Vermögen von SED und Massenorganisationen, sondern die 2% Vermögensanteile der Blockparteien, nicht das Stasi-Soziotop der Linkspartei in Brandenburg, sondern der (reuige) IM in der CDU. Die CDU hätte die Leichen im Keller, die Linkspartei hätte sich brutalstmöglich mit ihrer Vergangenheit auseinandergesetzt.

Schon früh hat die verstorbene brandenburgische Sozialministerin Regine Hildebrandt (SPD) gezeigt, wie man die Widersprüche und Unterschiede in der ostdeutschen Gesellschaft unter den Teppich kehrt: Durch Schüren von Ost-West-Ressentiments. Im Stil Sellerings, Thierses und Schwans könnte man den Spieß umdrehen:

  • Es ist nicht alles schlecht im Kapitalismus.
  • Der Kapitalismus ist kein Unrechtssystem.
  • Ein Schuss Gier, ja, aber man muss auch die Errungenschaften sehen.
  • Den Kapitalismus nur aus der Opferperspektive zu schildern, verzerrt die Wahrnehmung.

Wir gehen mal wieder der “Systemfrage” der Linken auf den Leim. Sie haben ihr System gerade krachend an die Wand gefahren. Die rumänische Schriftstellerin Ana Blandiana ist da hellsichtiger:

„Tatsächlich war Freisein viel schwieriger als Nichtfreisein.“

(Der Beitrag wurde zuerst am 20.7.09 im Blog Basedow1764 veröffentlicht.)

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